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Viel Wind: Reizthema Energiewende

21.11.2018Aktuelles
Viel Wind:  Reizthema Energiewende

Volles Haus im Landgasthaus während der Einwohnerversammlung am 8. November 2018. Fotos: eidermedia/Henze

In Sehestedt hat sich eine Anti-Windpark-Bürgerinitiative gebildet, die bei der Einwohnerversammlung am  8. November, aber auch schon zur öffentlichen Sitzung der Gemeindevertretung am 30. Oktober 2018 zu Wort kam. Mitglieder der Initative fordern von der Gemeindevertretung, beide für Windenergie vorgesehene Vorrangflächen in der Gemeinde abzulehnen. Was letztlich auch die Stillegung des bereits in Betrieb befindlichen Windparks bedeuten würde. Am 22. November 2018 wird während der öffentlichen Sitzung der Gemeindevertretung erneut über dieses Thema diskutiert.

So voll war der Saal im Landhaus wohl nur selten: Mehr als einhundert Einwohner und einige „Buten-Sehestedter“ waren am 8. November zur Einwohnerversammlung erschienen. Das zentrale Thema der Versammlung lautete: Die Windkraft. Den Hintergrund dazu bildet die „Teilfortschreibung des Landesentwicklungsplans 2010“ und die „Regionalpläne zur Ausweisung von Vorranggebieten für die Windenergienutzung“. Denn dieser Plan wirft für Sehestedt eine weitere Vorrangfläche für Windenergienutzung auf nordöstlichem Gemeindegebiet aus.

 

Sachliche Diskussion erbeten

Bürgermeister Torsten Jürgens-Wichmann erklärte in seiner Begrüßung, dass er sich „sachliche Informationen in respektvollem Umgang miteinander“ wünsche. Dieser Wunsch ging allerdings nur teilweise in Erfüllung. Denn es hat sich eine Bürgerinitiative gebildet: „Wind in Sehestedt“. Deren Mitglieder betonten zwar wiederholt, dass auch sie pro Windkraft und für die ökologische Energiewende seien, nur „vor der eigenen Haustür“ wollen sie die Anlagen nicht haben – so wie Horst Mauer, der gar die Abschaltung der bereits bestehenden vier Windkraftanlagen forderte, bis ein neues Schallgutachten vorliegen würde.

Zu Beginn der Sitzung erläuterten Amtsdirektor Andreas Betz und Landschaftsplanerin Sabine Franke ausführlich und nachvollziehbar, warum neue Windkraftflächen in der Gemeinde von der Landesplanung ausgewiesen worden sind: Die ursprünglich vom Land Schleswig-Holstein aufgestellten Pläne wurden 2012 vom Oberlandesgericht in Schleswig gekippt. Die Begründung: Harte und weiche Kriterien seien nicht ausreichend berücksichtigt worden (Link). Am 21. August 2018 wurde dann ein zweiter Entwurf verabschiedet, der jetzt den Gemeinden vorliegt und zu dem Stellungnahmen abgegeben werden können. Nach diesen neuen Plänen ist neben dem bestehenden Windpark „PR2-RDE-039“ mit vier Windmühlen, ein zweites Vorranggebiet auf Sehestedter Gemeindegebiet ausgewiesen worden: „PR2-RDE-404“, östlich der Landesstraße 42 und nördlich vom Gut Sehestedt, das maximal zwei bis drei neue Windkraftanlagen zulassen würde.

Beliebter Wohnort und exponiert als Ausflugsziel in Schleswig-Holstein.

 

Ein Vorranggebiet ist eine Fläche, auf der die Ansiedlung von Windkraft erlaubt ist. 1,95 Prozent der Landesfläche sind als Vorranggebiet ausgewiesen, erklärte Landschaftsplanerin Franke. Das sind insgesamt 361 Parzellen. Die Planer müssen eine Vielzahl von Kriterien berücksichtigen, bevor sie ein Gebiet als Vorrangfläche ausweisen können – unterteilt in harte und weiche, sowie Abwägungskriterien (Link). Dabei schauen die Planer unter anderem, ob auf dem Papier eigene Infrastruktur-Planungen der jeweiligen Gemeinde als KO-Kriterium vorliegen würde, erläuterte Franke. Sei dies nicht der Fall,  wären weitere Faktoren zu berücksichtigen: Beispielsweise der Abstand zu Siedlungsbereichen (der muss 1.000 Meter betragen), Abstand zu Naturschutzgebieten oder 300 Meter Abstand zu FFH-Flächen. Nahrungsgebiete für Singschwäne und Gänse seien beispielsweise ein weiches Kriterium. Da die Zwergschwäne, die bei Sehestedt des Öfteren rasten, nicht mehr als gefährdet eingestuft sind, „ist diese Fläche aufgeweicht worden“, formulierte die Planerin. Die merkwürdigen Formen mancher Windkraftgebiete kommen dadurch zustande, dass an jeder Seite andere Kriterien greifen oder nicht greifen würden.

 

Umzingelung sieht anders aus

Das Argument, das Sehestedt „von Windkraftanlagen umzingelt sei“, ließ sie nicht gelten. Auf ihrer Homepage hat die Wind-Initiative diese Sorge formuliert (Link). Zu einem liegen die meisten Anlagen außerhalb des Gemeindegebietes, zum anderen sehe eine tatsächliche Umzingelung anders aus. „Das ist Stöhnen auf hohem Niveau“, so der Kommentar von Sabine Franke.

Seit vier Jahren im Betrieb: Der Windpark von Sehestedt

 

In der dann folgenden Diskussion ging es teilweise hoch her. Horst Mauer, Mitglied der Bürgerinitiative, bemängelte die Auswirkungen des bestehenden Windparks und forderte ein neutrales Schallgutachten, bei dem nach neuen Kriterien geprüft werden müsse. Bis dies geschehen sei, verlangte er eine Abschaltung der Anlagen. Hierzu nahm Torsten Levsen, Vorstandsvorsitzender der Denker & Wulf AG, Stellung. Das Sehestedter Unternehmen betreibt gemeinsam mit Cay Ahlmann, Gut Sehestedt, die Anlage auf der Fläche „PR2-RDE-39“, die bereits seit vier Jahren in Betrieb ist. „Es ist natürlich alles genehmigt und geprüft“, so Levsen, der in der Einwohnerversammlung mehrfach anbot alle Vorgänge in einem Dialog transparent zu machen. Ein hilfreiches Angebot, das aber folgenlos im Sitzungssaal zu verhallen schien.

 

Willen der Bürger nicht berücksichtigt

Wiederholt meldeten sich Bürger zu Wort die anzweifelten, dass bei Genehmigung und Betrieb des vorhandenen Windparks alles mit rechten Dingen zugegangen sei und dass die Gemeindevertreter tatsächlich den Willen der Bürger berücksichtigen würden. Sie wären verärgert, dass immer „von einer großen, breiten Zustimmung zur Windkraft die Rede ist“ und zweifeln an, dass die Mehrheit der Sehestedter tatsächlich diese Position vertreten würde. „Sie verraten die große Mehrheit der Sehestedter Bürger“, lautete ein Vorwurf. Es wurde bemängelt, dass die Bürger nicht zur Beteiligung aufgefordert worden seien und das „Verfahren nicht sauber“ gelaufen wäre. Daher wurde ein Bürgerentscheid gefordert.

Bürgermeister Torsten Jürgens-Wichmann begrüßt und bittet um sachliche Diskussion

 

Starke Behauptungen, keine Belege

Sowohl Bürgermeister Torsten Jürgens-Wichmann als auch Alt-Bürgermeisterin Rita Koop nahmen Stellung. „Wir haben damals eine Einwohnerversammlung gehabt, jeder hatte eine Einladung im Briefkasten“, erklärte Rita Koop. Allerdings sei das Interesse der Bürger gering gewesen – auch an der zuerst bevorzugten Form eines Bürgerwindparks. Koop gab zu bedenken: „Durch die Windenergie waren wir jahrelang von den 16 Gemeinden in den Hüttener Bergen die reichste.“ Die Gewerbesteuer von Denker & Wulf spült ordentlich Geld in die Gemeinde-Kasse. Dass das Unternehmen dann später ein E-Auto stiftete und 160.000 Euro spendete, war einigen anwesenden Bürgern allerdings eher ein Dorn im Auge. Sie mutmaßten, dass dies mit der Gemeindevertretung im Vorwege versprochen worden sei, um dadurch die Entscheidung zu beeinflussen. Die Bemerkung: „Teile der Gemeindevertretung sind nicht neutral“ kam allerdings bei der überwiegenden Anzahl der Zuhörer nicht gut an und wurde mit Buh-Rufen quittiert. Torsten Jürgens-Wichmann empörte sich: „Sie unterstellen mir und meinen Kollegen, dass wir käuflich gewesen sind.“

Vom ehemaligen Gemeindevertreter Arne Materzok wurde bemängelt, dass das damalige Beschlussprotokoll erst acht Wochen später geschrieben wurde und der Antrag auf Bürgerbeteiligung nicht aufgenommen worden sei. Betz und Jürgens-Wichmann betonten jedoch, dass alles den Regeln entsprechend verlaufen sei. Ein weiteres Gegner-Argument lautete, dass die Werte der Immobilien durch die Nähe zu den Windkraftanlagen sinken würden. „Sind wir von der Gemeindevertretung oder vom Kreis auf das Risiko des Werteverlusts hingewiesen worden? Nein!“ Rita Koop hielt dem entgegen, „ich hätte in den vergangenen Jahren massenweise Grundstücke in Sehestedt verkaufen können“, so beliebt sei die Gemeinde als Wohnort – trotz Windkraft.

 

Rosinen picken

Zwar waren es überwiegend Windkraft-Gegner, die sich an diesem Abend zu Wort meldeten, doch es gab auch andere Stimmen. Guido Wendt gab zu bedenken, dass „ohne das Thema Wind vieles in der Gemeinde in den vergangenen Jahren nicht möglich gewesen wäre“. Für Vorteile müsse man auf der anderen Seite auch etwas in Kauf nehmen. Ruth Moll wandte ein: „Irgendwoher muss der Strom ja kommen. Man kann sich nicht nur die Rosinen rauspicken, man muss auch unschöne Dinge in Kauf nehmen.“

Die beiden neuen Gemeindevertreter Dirk Naeve und Ingeborg Freerksen-Hennings von der Wählergemeinschaft wiesen darauf hin, dass die Mitglieder des Kommunalparlamentes alle ehrenamtlich arbeiten würden und keine Fachleute seien. Den Ruf nach mehr Information beantworteten sie mit dem Aufruf: „Kommt doch zu den Gemeindevertretersitzungen“.

Abschließend einigten sich Bürgerinitiative und Gemeinde darauf, dass die Initiative drei Vertreter benennen könne, die die Einwände formulieren. Diese sollen am 22. November während der öffentlichen Sitzung der Gemeindevertreter zur Sprache kommen.